reihen_09

für die Tapferkeit vor dem Freund, /
für den Verrat unwürdiger Geheimnisse /
und die Nichtachtung /
jeglichen Befehls.

(Ingeborg Bachmann)

Das Lyrische Quartett am 17.07.2019

Mit Maike Albath

In seiner kurzen Begrüßung mußte Holger Pils mitteilen, dass Hubert Spiegel aus familiären Gründen leider verhindert war. Danach stellte Kristina Maidt-Zinke dem bestens gefüllten Saal Maike Albath vor – als eine „hoch geschätzte Kollegin“ und vielfach versierte Übersetzerin aus dem Italienischen, Redakteurin beim Deutschlandfunk und die Verfasserin dreier wichtiger Werke zu Italien: Der Geist von Turin über das intellektuelle Klima jener Stadt rund um den Verleger Giulio Einaudi, ein Buch über das Rom der 1950er und 1960er Jahre und zuletzt, 2019 erschienen, Trauer und Licht über Sizilien und seine Reflexe in der Literatur.

Maike Albath hatte einen Band aus dem Verlag Ulrich Keicher mitgebracht und begann den Abend mit einigen Erläuterungen zu dem Verleger als inzwischen bereits „mythische[r] Figur“: Der gelernte Antiquar habe in seinem Verlag die Reihe Der rote Faden begründet (später als Warmbronner Edition weitergeführt). Darin erscheinen bibliophile Broschuren – jeweils 250 liebevoll fadengeheftete Exemplare – mit ausgewählten Texten ihm wichtiger Autorinnen und Autoren. Gewählt hatte sie den Band von Jürgen Nendza (1957 in Essen geboren) mit dem Titel Wir treffen uns im Apfel, zusammengestellt und kommentiert von Michael Braun, und stellte ihn im Zuge einer eingehenden Interpretation des Gedichtes „Die Luftschiffe“ näher vor: Sie beleuchtete die „spannungsreiche Überschneidung“ von Bild- und Denkbereichen und verschiedenen Sinneseindrücken (Luftschiff, Haus, Küste, geologische Formationen, Liebesakt). Außerdem betonte Albath eine gleichsam wellenhafte Dynamik der Semantik, die Spannung zwischen Fluidität und Getrenntheit und deutete die Schlusswendung des Textes als einen Liebesraum der sich „trotz“ aller Trennungen sich ergebe. Kristina Maidt-Zinke dagegen: Sie habe das gedichtbeschließende „Aber“ eher als eine Aufhebung der vorher in dem Gedicht entworfenen positiven Gestimmtheiten empfunden. Florian Kessler vermittelte: Gedichte seien ja „keine Kreuzworträtsel“, die Gedichtbedeutung und vielleicht die gesamte Sammlung Nendzas oszilliere zwischen Abstraktion und „dem Atmosphärischen“. Weitere Überlegungen entzündeten sich an Fragen nach Sinnesvermischungen, Kitsch oder Sentimentalität in der Lyrik und am Bild der „Wanderdüne Liebe“. Gestreift wurden auch Begriffe wie Pathos, Schönheit, „historische Patina“ bzw. „Sprachspeicher“, das Einschießen von Biographischem sowie (auf eine Anregung von Piero Salabè aus dem Publikum) die Frage einer Ironisierung. Albath betonte ihre Wertschätzung für Nendzas „Mut, sich von Bildern tragen zu lassen“, seine präzisen Beobachtungen und seine erfrischenden Wortschöpfungen wie „silbenuhrig“. Sie sehe es eher als ein Problem, „wenn man nichts mehr zu erzählen“ habe. Sie habe über die Texte gerne nachgedacht und an ihnen „Gefallen gefunden“.

Kristina Maidt-Zinke präsentierte Gerhard Falkners Schorfheide. Gedichte en plein air (Piper 2019). Jeder Gedichtband Falkners sei „ein großer Auftritt“. Im jüngsten bewege sich das lyrische Ich durch die Landschaft wie einer der Pleinairisten und verbinde seine Eindrücke aus dem Berliner Naherholungsgebiet Schorfheide mit Diskurswelten der Informationstechnik, der Literatur- oder Naturwissenschaft. Subjektiv sei ihr Falkner immer als ein „verkappter Romantiker“ erschienen, der versuche, Natur mit der Technik „zu verkuppeln“. Sie verwies auch auf Falkners im Nachwort des Bandes verfochtene These, dass der naturpoetische Grundwortschatz der lyrischen Tradition verbraucht sei, und auf Falkners Selbstdeutung seiner Gedichte als Versuch, dem entgegenzusteuern, indem Natur mit Zeichensystemen der Wissenschaften, Linguistik, Gewässerkunde etc. überschrieben wird. Florian Kessler stimmte dieser These unmittelbar zu, und Maike Albath verwies auf die Tradition dieser Klage selbst seit dem Expressionismus. Die weitere Diskussion galt u.a. der „historischen Falkner-Debatte“ im Anschluss an seine Huchel-Preis-Rede (sein Vorwurf der Selbstbezüglichkeit an die jüngere Generation) und der Frage, ob Falkner mit seiner Synthese von Natur und technizistischem Vokabular Innovatives leiste. Kristina Maidt-Zinke bekannte sich von den Gedichten eher enttäuscht. Florian Kessler sah in dem immer wieder verwendeten Titel „Schorfheide“ ein Ringen, ein „Anrennen immer wieder ….“ in der Suche nach Innovation. Albath bestätigte: Falkner erobere damit „Leser, die mit dem lyrischen Vokabular nicht sehr vertraut sind“. Weitere Stichworte, die fielen, waren „mutig“, „kraftbollernd und zugleich auch kräftig“. Anders als bei Nendza – so Kristina Maidt-Zinke – bleibe in diesen Gedichten „so wenig unerklärter Rest“.

Karin Fellner, deren vierten Gedichtband eins: zum andern (Parasitenpresse 2019) Florian Kessler vorstellte, sei – so war die Runde sich schon beim Auftakt einig – auf einer ähnlichen Suche nach einer Innovation der lyrischen Sprache. Florian Kessler hob für das Buch vor allem die Arbeit an der Sprachmaterialität hervor und zeichnete damit das Gleis für die folgende Diskussion vor. In dem projizierten Gedicht wies er vor allem auf die initiale Wortneufügung „Sprahahahache“ hin, auf dynamisierende Spannungen der Bildlichkeit (etwa „ondulierter Wald“), auf ein Auskosten und Inszenieren von Unbestimmbarkeit – das zudem mit fühlbar großem Spaß betrieben und „oft auch lustig“ sei. Kristina Maidt-Zinke schloss an, die Autorin habe eindeutig „ein theoretisches Gerüst“. Maike Albath goûtierte die Texte als „tolle Sprachschule“. Nur als tastenden Zweifel wandte sie dann ein, ob diese Gedichte nicht „zu selbstreflexiv“ seien. Sie habe sich manchmal einen „narrativen Kern“ gewünscht – einen roten Faden. Auch Kristina Maidt-Zinke sah eine Gefahr der Unverbindlichkeit oder zu großer Selbstbezüglichkeit. Florian Kessler machte zwar Vorschläge, worum es in den Gedichten gehe, etwa ein „Umkodieren der Geschlechter“ und ein Betreiben von Politik „auf eine vermittelte Weise“, diese Anregungen wurden aber nicht fortgesetzt. Die Diskussion schloss hier mit einhelliger Bewunderung für die Gedichtform und andererseits mit einer gewissen Blicklosigkeit auf die Anliegen und Gehalte des Bandes.

In der Absenz von Hubert Spiegel, der den Band Meine Gedichte von Karl Krolow vorgeschlagen hatte (Suhrkamp 1990, 2017), näherten sich die Diskutanten dem Haltbarkeitstest aus je eigenen Perspektiven. Kristina Maidt-Zinke stellte den Autor zunächst kurz vor und verwies v.a. auf die bruchlose Fortsetzung seines Werdegangs nach 1945 (nach einer Sozialisierung und einem erfolgreichen Beginn der Autorenkarriere im Nationalismus); sie habe Krolow deshalb nie „neutral lesen“ können. Aber Krolow sei natürlich ein „ganz, ganz großer Sprachkünstler, [...] der eine große Vorbildfunktion bekommen hat […] der hoch respektiert und hoch geachtet war“. Maike Albath erklärte, sie habe den Autor nach der Lektüre des Bandes als sehr „zeitverhaftet“ empfunden. Seine Produktivität sei ihr sogar „unheimlich“ gewesen. Er habe „eine ungeheure Fähigkeit [besessen], sich einzuverleiben, was so in der Luft lag: das Alltagssprachliche, das Lakonische“ und sei darin auch sehr virtuos gewesen. Gegen Ende des Bandes habe sie, Maike Albath, der Einschlag einer Alterserotik gestört, die den Gedichten eine „merkwürdige Ranzigkeit“ gebe. Florian Kessler erklärte, sich der Sammlung zunächst mit der Frage genähert zu haben, ob es einen ‚Krolow-Sound‘ gebe – was er nach der Lektüre nicht mehr annehme. Ihm seien die Gedichte immer wieder als „schön und klein und fest, wie […] schöne Winterkartoffeln“ vorgekommen. Später äußerte er seine Wertschätzung für Krolows Dichten, das in „geraden klaren Sätzen immer weiter schreibt“. Eine Wortmeldung aus dem Publikum (von Gisela Trahms) gab zu bedenken, wie viel an Einfluss Krolow allein durch seine Stellung in der Deutschen Akademie erlangt habe – und wen er denn geprägt habe? Das Quartett endete mit einem hellen Ausblick auf das sommerliche Gedicht „Drei Orangen, zwei Zitronen“ (nachzulesen u.a. hier), von dem Florian Kessler mutmaßte, es gehöre wohl zu dem, was von Krolow vor allem bleibe.

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