Der Flügelflagel gaustert /
durchs Wiruwaruwolz, /
die rote Fingur plaustert, /
und grausig gutzt der Golz.
Das Lyrische Quartett vom 17.07.2018
Mit Ilma Rakusa
In der letzten Lyrik-Kabinett-Veranstaltung vor der Sommerpause war – aufgrund des erkrankten Hubert Spiegel – das Lyrische Quartett nur ein Trio, bestehend aus Kristina Maidt-Zinke, Florian Kessler und Ilma Rakusa. Kristina Maidt-Zinke stellte eingangs die Literaturwissenschaftlerin, Publizistin und Essayistin Ilma Rakusa als „Weltpoetin” (M. Braun) vor.
Diese präsentierte Elke Erbs jüngst erschienenen Band Sonnenklar. Meins. Das Hündle kam weiter auf drein, der heuer zum 80. Geburtstag der Dichterin erschienen war, und daraus das Gedicht „Präsenz”. In Elke Erb selbst sah sie „eine der jüngsten Lyrikerinnen“, „weil sie unentwegt neugierig ist“, und Alltägliches tagebuchartig einfange. Nach Florian Kessler leistete das Gedicht „eine große Vergegenwärtigung“ – die es aber programmatisch zugleich reflektiere. Auch Ilma Rakusa sprach über die Erb eigene „Art der ständigen Reflexion“, in der „man kann sich nicht in die Komfortzone begeben“ kann. „Jedes Mal passiert eine andere Gedankenbewegung“, bemerkte Kessler, weil aus den Texten „immer kleine Notate herausexplodieren“, und betonte, dass Elke Erb „kein ‚ergreifendes‘ Werk“ schreiben und „überhaupt nicht pathetisieren“ wolle: „Es gibt auch so eine Art Ostberliner Charme, der ziemlich raubeinig ist“.
Zu der Anthologie Deine Angst - Dein Paradies , Gedichte aus Syrien stellte Florian Kessler zuerst die komplexen Schwierigkeiten der Übersetzung vor und präsentierte dann das Gedicht „die hälfte des mondes“ von Aref Hamza, vergleichend in den Übertragungen von Dorothea Grünzweig und Jan Wagner. Er konstatierte: „Ganz anders (...) als in heutiger, aktueller, deutschsprachiger Lyrik“ gebe es in diesen Gedichten ein hohes Vertrauen und „eine wahnsinnige Kraft der starken Bilder“. Kristina Maidt-Zinke bedauerte zunächst, dass die Interlinearübersetzungen, aus denen die Nachdichtungen des Bandes hervorgingen, nicht beiliegen. Ilma Rakusa berichtete über ihre Erfahrungen mit Übersetzungen aus dem Arabischen: Die Leser müssten die „sehr fremde“ arabische Metaphorik „erst entschlüsseln, einen Code finden“. Kessler wandte sich gegen die Sichtweise, dass sich „Kulturen relativ monolithisch gegenüberstehen“, verwies auf die Kulturvermittlungsleistung zahlreicher Publikationen oder „gute Nachworte“ darin, und hoffte, dass es „viel kulturübergreifende Formate geben“ werde: „Dazu können solche Anthologien viel beitragen“.
Kristina Maidt-Zinke schloss dann eine Einführung zu dem Schweizer Dichter Pietro de Marchi an bzw. dessen Band Das Orangenpapier / La carta delle arance: Gedichte italienisch und deutsch. Sie sah eine „sehr große Leichtigkeit“ in den Gedichten. Obwohl deren Themen keineswegs immer leicht und erfreulich sind, mangele es ihnen keineswegs an Tiefe: eine „sehr musikalische Art des Dichtens, obwohl sie vollkommen formbewusst und reflektiert ist“ – „ein Band, bei dem man sich ein wenig erholen kann.“ Kessler widersprach: „Ich will mich nicht erholen“, „Lyrik und Literatur kann ja genau das Gegenteil bewirken“. Ilma Rakusa stellte vermittelnd fest, bei dem titelgebenden „Orangenpapier“ gehe es um die „Feier des Augenblicks“, um „den Wert der Einmaligkeit“ und zitierte das Gedicht „Metrik der Ernüchterung“ als ergänzendes Beispiel für Witz und Sensibilität. Kessler fand in dem Buch „schöne Beobachtungen“, „große kleine Stillleben in einem“, brachte aber zugleich eine kritische Diskussion über die vorangestellten Motti und den mit ihnen verknüpften literarischen Anspruch auf.
Hubert Spiegel hatte den zum 150. Geburtstag Stefan Georges erschienenen Band Geheimes Deutschland, hrsg. von Helmuth Kiesel, gewählt, den nun Florian Kessler einführte: mit Hinweisen auf das „Nachleben“ des Bingener Dichters in aktuellen Diskussionen. Kesslers Einschätzung: Ein Buch, „das äußerst politisch umgeht mit George“, einen „bestimmten Deutschlandbegriff Georges“ untersuche und den Dichter „sehr apologetisch, aufwertend, ein bisschen entschuldigend“ „als „großen Europäer zu stilisieren“ versuche. Angesichts des projizierten „Zeitgedichts“ sprach Ilma Rakusa von „Pathos“ und „Festlichkeit“, und die Runde reflektierte die „klangmagische Seite“ und hypnotische Leseweise Georges, sprach sogar von einem „georgischen Ohrwurm“, „reiner Betörung“, in dem aber auch ein „Machtanspruch“ liege. Am Ende des Abends betonte Florian Kessler: Elke Erb mache „genau das Gegenteil, lullt eben gerade nicht ein, sondern reißt die Bettdecke von den Texten weg, fällt sich selbst ins Wort“ und zeige damit eine „politisch wache Einstellung zu Lyrik“. So stand am Ende der Diskussion die Rückkehr zu der Kernfrage, die der gesamten Quartett-Reihe zugrundeliegt: danach, was Lyrik heute leisten kann.
Mehr von der spannenden und abwechslungsreichen Diskussion können Sie hier hören:
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