Der Flügelflagel gaustert /
durchs Wiruwaruwolz, /
die rote Fingur plaustert, /
und grausig gutzt der Golz.
Das Lyrische Quartett am 12.12.2018
Mit Beate Tröger
Zum Ende des Jahres gab es noch einmal ein Lyrisches Quartett, bei dem diesmal – neben den festen Mitgliedern Kristina Maidt-Zinke, Florian Kessler und Hubert Spiegel – die freie Literaturkritikerin Beate Tröger zu Gast war. Letztere hatte Die Flamme - The Flame (Kiepenheuer & Witsch) mitgebracht, ein Buch, das die Gedichte und Lyrics des kanadischen Singersongwriters Leonard Cohen versammelt.
Gleich ab der ersten Frage befand sich das Quartett mitten in dem Diskurs, der die Opernschaffenden unter dem Salieri-Titel prima la musica dopo le parole? ständig begleitet und der seit dem Nobelpreis für Bob Dylan auch für den Literaturbetrieb (wieder-)entdeckt wurde. “Funktioniert das ohne Soundtrack?”, fragte Maidt-Zinke, die voranstellte, dass ihrer Meinung nach “Cohens musikalisches Repertoire außerordentlich begrenzt” sei, wobei sie “das Zusammenwirken von Text und Musik sehr beeindruckend fand”. Worauf Kessler meinte: “Muss das überhaupt in die hohen Hallen der Literatur überführt werden?” Es sei doch eine „schreckliche, verächtliche“ Geste gegenüber den Text-Ton-Kunstwerken, wenn man ihnen zurufe: “Kommt in unsere Akademie, kommt in unsere schönen Buchausgaben! Wir gucken uns die sakrosankten Texte an und werden in ihnen wühlen.” Cohen – so profilierte die Runde – verstand sich als Schriftsteller, studierte und veröffentlichte zunächst Literatur. Tröger betonte, dass er sich diese Rolle selber gab, weshalb die Frage, ob das nun Literatur sei, durchaus legitim sei: “Er hat diese ‚Hammerzeilen‘ im gernhardtschen Sinn!” Allerdings wurde sich das Quartett hinsichtlich der Frage nach der generellen lyrischen Qualität der Texte (und auch ihrer Übersetzungen) nicht recht einig.
Als nächste wurde der einzige deutschsprachige Autor des Abends besprochen. Maidt-Zinke stellte Mirko Bonnés jüngsten Band Wimpern und Asche vor, bei Schöffling erschienen: Es sei ein engagierter Band, der sich u.a. mit dem Klimawandel beschäftige und überprüfbar mache, ob es sich darüber poetisch schreiben lässt. Darüber hinaus “verarbeite[t] er einen großen Raum von literaturgeschlichen Referenzen”, wobei sie bemerkt, dass der Autor damit “sympathischerweise nicht prunkt oder kokettiert, sondern alles organisch einarbeitet”. Anschließend konzentrierte sich die Runde v.a. auf das Gedicht Escheburg, ein Jahreszeitentext, bei dem Hubert Spiegel zuerst die durchgemischte Reihenfolge von Sommer, Frühling, Winter, Herbst in der ersten Zeile auffiel, was ihn “positiv stolpern ließ”, während ihm die Zeile ich schoss Schottersteine und lief, bis wo sie liegen blieben dann doch “grammatikalisch die Beine wegschlug”. Kessler hielt Gedicht wie Band generell für gelungen, verfasst von einem Autor, der “sicher in der Moderne steht, der viel gelesen hat”, aber sowohl er als auch Tröger meldeten gewisse Vorbehalte gerade gegen die Souveränität und Formsicherheit des Autors an und erwogen, ob dessen „schöne und routinierte“ Formen nicht möglicherweise der „Sprengkraft dessen, was in diesem Band [an Zivilisationskritik] verhandelt wird”, entgegenwirken. Inmitten einer Diskussion, die sich von dem Autor durchweg beeindruckt zeigt, wurde das Desiderat weiterführender Irritation spürbar.
Kessler hat diesmal einen Band mit Gedichten des französischen Lyrikers Philippe Jaccottet (*1925) mitgebracht. Gedanken unter den Wolken ist in der Übersetzung von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz bei Wallstein erschienen. Auch bei diesem Band spielte das Quartett ‚vom Blatt‘ und konzentrierte sich v.a. auf ein Gedicht, mit Namen Wir sehen (On voit). Für Kessler zeigte der Text stellvertretend das Anliegen des gesamten Buches, das “durch das Ernstnehmen von Wahrnehmungen zu den Dingen durchbrechen” wolle. Es gehe dem Dichter auch um die “Unschuld des Dinges”; Kessler zog zudem einen Vergleich zu Handke, der in den 80er Jahren von “geglückten Momenten” gesprochen und den Versuch unternommen habe, in und mittels der Literatur “noch ein einziges Mal […] durchzuschlagen auf die andere Seite: also Transzendenz erlebbar zu machen”. Für Beate Tröger war dies “der schönste Band“, den sie in diesem Jahr gelesen habe. Auch Hubert Spiegel zeigte sich von den für ihn “nicht auf Anhieb immer verständlichen Gedichten” begeistert und fühlt sich an Aphorismen im “Notizbuch eines Philosophen” erinnert, die von dort aus zum Verstummen führten und dann den Weg zurück zur Form fänden.
Hubert Spiegel stellte zum Abschluss das Buch Randgebiete der Arbeit vor, erschienen in der Edition Akzente des Hanser Verlags. Der bibliophile Band enthält Texte, Bilder und Dokumente des Lyrikers Thomas Tranströmer. Der schwedische Nobelpreisträger hatte in seiner Küche eine Vorratskammer, in der sich sein Archiv befand – mit Briefen, Manuskripten, Zeitungsartikeln und dergleichen. Diese Bestände wurden dann nach seinem Tod für den Band arrangiert: Faksimiles wechseln sich mit Bildern ab oder mit Autographen von Kompositionen für die linke Hand, die von Freunden des nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmten Tranströmer stammen. Die Diskussion konzentrierte sich v.a. auf die Gesamtanordnung der Texte und Bilder und das titelgebende Gedicht. Hubert Spiegel: “Man hat das Gefühl: Form folgt Inhalt. Es geht ihm um Klarheit.” Spiegel betont den Unterschied zu dem zuvor besprochenen Jaccottet: “Wo Jaccottet das Besondere betont, wo es etwas Epiphanienhaftes hat, da ist es bei Tranströmer in eine Beiläufigkeit gekleidet, ohne den Vorgang zu verkleinern, aber er wird näher an den Alltag gerückt.” Die Runde zeigte sich von dem Band einhellig begeistert.
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