Der Flügelflagel gaustert /
durchs Wiruwaruwolz, /
die rote Fingur plaustert, /
und grausig gutzt der Golz.
Das Lyrische Quartett vom 11.04.2018
Mit Marion Poschmann
Einen „sehr kontrastreichen Abend“ versprach Kristina Maidt-Zinke in ihrer Begrüßung zu dieser Frühlingsausgabe des Lyrischen Quartetts, bevor sie Marion Poschmann kurz vorstellte.
Marion Poschmann selbst präsentierte den Band Fremde Felle von Sylvia Geist: Die Beschreibung des Menschen, der angewiesen ist auf 'fremde Felle', gebe dem Band seinen Titel. Für das Buch exemplarisch stellte Poschmann das Gedicht „Bilder für“ vor: „Das lyrische Ich ist nicht klar verortet und kann sich verwandeln.“ Während Werner von Koppenfels offen seine Verständnisprobleme bekannte, begrüßte Florian Kessler Probleme als „etwas Tolles“, man werde auf etwas gestoßen. Unter der großen, darüber gelagerten Schicht des Gedichts liege möglicherweise die Erzählung eines Paares – für Maidt-Zinke eine Verschmelzungssituation. Zudem plädierte Kessler emphatisch – und gegen das Stichwort der ‚Kontingenz‘, das von Koppenfels einbrachte – dafür, dass Gedichte nicht unbedingt immer einem Sinn- und Schlüssigkeitsdiktat unterworfen werden sollten.
Bei Mara Genschels Band Gablenberger Tagblatt, so fuhr Kessler fort, gehe es „einige Stufen aggressiver zu“. Auf „sehr, sehr leeren Seiten“ seien die „Ideen von Reihe und Reihung“ durchgespielt, die Fußnoten unter dem leeren Kasten seien „lustlos, störrisch oder aggressiv“ durchgestrichen, beim vorgestellten Text etwa ein Zitat aus Hannah Arendts Vita activa. Der Mensch, so Kessler weiter, ist im ganzen Band nur „in seinen Bedingtheiten“ erfahrbar. Der weitere heiter-kritische Schlagabtausch entzündete sich u.a. an der Frage, ob für Genschels Buch von Gedichten gesprochen werden sollte. Nach angeregter Debatte schloss Kessler, indem er sagte, dass der Autorin diese Auseinandersetzungs-Situation auf der Bühne sicher gefallen hätte.
Kristina Maidt-Zinke lobte die Gedichte Gerhild Reinshagens als „erfrischend“ in ihrer leichten Verständlichkeit. Zunächst bewegte die Runde, wofür beim vorgestellten Gedicht „In Italien“ das Versmaß elegischer Distichen steht, es sei hier laut Maidt-Zinke satirisch verwendet. Dann ging es um Fragen von „moralischem Rigorismus“ und einer „zweigeteilten Welt“ (Kessler), den „Katalog der Anklage“ im Zentrum des Gedichts (Koppenfels) bzw. eine behutsame Hinterfragung von „Schwarzweißmalerei“ (Poschmann). Maidt-Zinke empfand Reinshagens „Wahrnehmung des eigenen Landes“, mit dem man sehr schwer klarkommt, „aus der Entfernung“, von der hochpolitischen „Porträtistin der Nachkriegszeit“ als wohltuend und gelungen.
Werner von Koppenfels stellte schließlich – als Haltbarkeitstest und in Vertretung von Hubert Spiegel – aus Hans Magnus Enzensbergers Band Die Verteidigung der Wölfe das Gedicht „Verteidigung der Wölfe gegen die Lämmer“ vor: Die „ätzende Lauge“ von Enzensbergers Sarkasmus sei eine „Fundgrube für Strukturalisten, die nach binären Oppositionen suchen“. Poschmann las in dem Gedicht „doppelte, fast dreifache Ironie“ und führte es zurück auf Äsop und Nietzsche. Maidt-Zinke bescheinigte dem „Medienkritiker“ große Aktualität und Scharfsinnigkeit.
Schließend erwog die Runde Gemeinsamkeit der Autoren des Abends. Von Koppenfels sah sie darin, wie Alltagsmenschen betrachtet werden. Für Kessler gab es „etwas wie politische Identität jenseits des Gedichtes“, die sich im Gedicht zeigt, und im Laufe des Abends „an sehr unterschiedlichen Fällen durchgespielt“ worden sei. Das sei das Vielfältige und Positive an „streitbaren Quartetten“!
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