Der Flügelflagel gaustert /
durchs Wiruwaruwolz, /
die rote Fingur plaustert, /
und grausig gutzt der Golz.
„Dichtung ist Vision, ein Sprung ins Unbekannte. Die Lufteroberung eines bilderreichen Denkens und die Entdeckung des Unsichtbaren als Kontinent hat die sprachmächtige Begine Mechthild von Magdeburg (ca. 1207-82) als ‚Fließendes Licht‘ erlebt und in vielschichtigen Gesängen, Bildern und liedhaft-hybriden Abhandlungen niedergeschrieben. Ihre so aufblitzende geistige terra incognita ist bis heute maßstabsetzendes Beispiel für das ewig Unbeweisbare geblieben. Durch die dichterisch festgehaltene Erfahrung dieses mystischen Paradoxons gebührt Mechthild der Platz einer der ersten in deutscher Sprache schreibenden Frauen: eine Philosophin der verdichteten Zeit, in der Gott zeitgleich das alles umfassende Absolute und das winzig Kleine ist. Wenn ich ihrem magnetisierenden Spracheifer folge, höre ich – wenn ich das schöne Wort „Begine“ lese – immer zuerst den Imperativ „Beginne!“. Beginne also mit der Vision, mit der ersten Sprache der Poesie: mit einem Sprung ins Unbekannte – ins Nichtwissen.“ so Marica Bodrožić über ihre gewählte Zwiesprachen-Autorin.
Bodrožić, geboren1973 in Dalmatien, zog als Zehnjährige nach Hessen und wuchs in die deutsche Sprache hinein. Sie verfasst darin heute Lyrik, Romane und Essays. Zuletzt erschienen: Das Wasser unserer Träume. Roman (Luchterhand 2016) und Das Auge hinter dem Auge. Betrachtungen (Otto Müller 2015).
XIX. Gott spricht zärtlich in sechs Bildern zu der Seele
Du bist mein Kopfkissen,
mein lieblichstes Lager,
meine verborgenste Ruhe,
mein tiefstes Begehren,
meine höchste Ehre!
Du bist eine Lust für meine Gottheit,
ein Trost für meine Menschennatur,
ein Bach für meine Glut!
Mechthild von Magdeburg, aus: Das fließende Licht der Gottheit, herausgegeben von Gisela Vollmann-Profe (Deutscher Klassiker Verlag 2003), S. 37.