Oops, an error occurred! Code: 20250424034128259b9d1a
fallbackImageStage

Was Schillers Glocke geschlagen hat

„Festgemauert“ in unserem kollektiven Gedächtnis haben Kernsätze aus Schillers Lied von der Glocke überlebt: „Von der Stirne heiß / Rinnen muß der Schweiß“, „Drum prüfe, wer sich ewig bindet“, „Wohlthätig ist des Feuers Macht ...“, „Er zählt die Häupter seiner Lieben“, „Da werden Weiber zu Hyänen“. Sie sind in den alltäglichen Sprachgebrauch auch derer übergegangen, die von Schiller nichts (mehr) wissen wollen.

Schon seine Zeitgenossen brachten dem Gedicht Bewunderung und Spott entgegen; „über das Lied von der Glocke, sind wir gestern Mittag fast von den Stühlen gefallen vor Lachen“, erzählt Caroline Schlegel ihrer Tochter im Herbst 1799. Noch 150 Jahre später hat Thomas Mann solchen Lesern einen strengen Verweis erteilt; er findet ihre Reaktion „unangebracht bis zur Schnödigkeit“. Lob und Tadel, kecker Widerspruch und ehrerbietige Würdigung haben Schillers Lied bis heute begleitet; es ist zum hehren Bildungsgut geworden, zugleich aber hat man sich von seinem idealistischen und ideologischen Gehalt durch Kritik und Persiflage zu entlasten versucht.

Über 100 Parodien der Glocke lassen sich nachweisen, die das Gedicht auf die unterschiedlichsten Berufsstände (z.B. Drechsler und Bierbrauer) und auf Fertigungsprozesse (z.B. Wurst, Kaffee, Photographie), auf historische Ereignisse (z.B. Reichsgründung und Weltkrieg) und Lebenssituationen anwenden. In der Summe ergibt sich eine unterhaltsame und lehrreiche Wirkungsgeschichte, die von der anhaltend provozierenden Kraft des Textes zeugt.

Wulf Segebrecht, geb. 1935 in Neuruppin, Professor Dr. em für Neuere deutsche Literatur an der Universität Bamberg. Er veröffentlichte u.a. Das Gelegenheitsgedicht (1977), Goethes Gedicht ‘Über allen Gipfeln ist Ruh’ (1978), das Fundbuch der Gedicht-interpretationen (1997) und gibt seit 1982 die wunderbaren Fußnoten zur Literatur heraus. 2001 erhielt er den Preis der „Frankfurter Anthologie“.

Ich les, daß Feuer eine Wohltat ist
Solang der Mensch es zähmet und bewacht
Daß es ihn aber, ungezügelt, frißt.
Ich frage mich: an was hat der gedacht?

Was ist es, das er euch zu zähmen bittet?
Dies Element, das er so nützlich nennt
Gesittung fördernd, selber nicht gesittet –
Was für ein Element ist wohl dies Element?

Dies Feuer, diese Tochter der Natur
Die, ihrer Zügel los, durch eure Gassen wandelt
Mit roter Mütze auf, wer ist das nur?

Das ist nicht mehr die gute alte Magd!
Ihr habt wohl die Person zu mild behandelt?
Ich seh, sie hat euch nach dem Lohn gefragt.

Bertolt Brecht

„Was Schillers Glocke geschlagen hat“

Das Lied von der Glocke
Wulf Segebrecht
präsentiert Nachklang und Widerhall
des meistparodierten Gedichts.
Einführung: Frieder von Ammon
Sprecher: Wolf Euba

Dienstag­, den 05.04.2005
20:00 Uhr

Amalienstrasse 83 / Rückgebäude
(U3 / U6 Haltestelle Universität)

Nach der Lesung laden wir ein zu einem Glas Wein.

Eintritt: €5,50 / €3,50
Mitglieder Lyrik Kabinett: frei