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Liedertagebuch

Friedrich Rückerts Werk, um die vorige Jahrhundertmitte in höchstem Ansehen, überragt durch seine reiche, alle abendländischen wie orientalischen Formen einbindende Verskunst das aller seiner Zeitgenossen; es begleitet zudem die Zeitereignisse zwischen den napoleonischen Kriegen und der Reichsgründung wie ein poetischer Kommentar und stellt eine in ihrer Art unvergleichliche Kultur-Chronik dar. Hinzu kommt der gewaltige, bis auf wenige Einzelstücke unveröffentlicht gebliebene Nachlaß aus den letzten 18 Jahren des Dichters: Lebensprotokoll eines alternden Mannes, der der Welt abhanden gekommen sein wollte und sich ganz in sich selbst zurückzog. Rückerts poetisches und wissenschaftliches Erbe ist nie philologisch bearbeitet worden. Deshalb hat Hans Wollschläger zusammen mit Rudolf Kreutner in 10-jähriger Arbeit die Grundlagen zu einer Historisch-kritischen Ausgabe gelegt, von der bereits vier Bände im Wallstein Verlag erschienen sind. Insbesondere der Nachlaß, ein „Alterswerk“, wenn je eins diese Bezeichnung verdiente, bringt dabei noch einmal eine Überraschung aus dem großen Jahrhundert, das doch alle seine Geheimnisse längst enthüllt zu haben schien. Es bringt keine "Hauptwerke" mehr, keine poetischen Staatsaktionen, nur tagtägliche Abschriften des tagtäglichen Lebens. Aber heute kann die Nachzeit entschieden beurteilen, was Rückert selber unentschieden ließ: Seine im Nachlaß belassenen „kleinen Gedichte“ – es wurden fast 10.000 in zwanzig Jahren – haben das größte Poesie-Werk des 19. Jahrhunderts gebildet: ein Protokoll zuletzt einer ganzen Epoche und ihres Vergehens. Liedertagebuch war sein Ausdruck dafür; es wurde ein Ausdruck der Menschlichen Tragödie, wie die ganze Dichtungsgeschichte keinen ähnlichen hat.

 

Hans Wollschläger, geb. 1935, jüngster Kulturpreisträger der Bayerischen Landesstiftung, ist durch seinen Roman Herzgewächse, seine kulturkritischen Bücher (Tiere sehen dich an) und durch seine Übersetzungen (Ulysses) bekannt geworden. Er berichtet aus Rückerts Altersleben und liest aus dem unveröffentlichten Nachlaß.

 

 

Herbsthauch
 

 

Herz, nun so alt und noch immer nicht klug,

Hoffst du von Tagen zu Tagen,

Was dir der blühende Frühling nicht trug,

Werde der Herbst dir noch tragen!
 

 

Läßt doch der spielende Wind nicht vom Strauch,

Immer zu schmeicheln, zu kosen.

Rosen entfaltet am Morgen sein Hauch,

Abends verstreut er die Rosen.
 

 

Läßt doch der spielende Wind nicht vom Strauch,

Bis er ihn völlig gelichtet.

Alles, o Herz, ist ein Wind und ein Hauch,

Was wir geliebt und gedichtet.

 

Friedrich Rückert

"Liedertagebuch"

I.

Friedrich Rückert

1788 - 1866

Gedichte

 

Hans Wollschläger

liest aus dem unveröffentlichten Nachlaß.

Dienstag­, den 23.04.2002
20:00 Uhr

IBZ - Internationales Begegnungszentrum

der Wissenschaft Amalienstr. 38

(U3 / U6 Universität)

Mit freundlicher Unterstützung des Kulturreferats/Literatur

Eintritt: € 5,50 / € 3,50
Mitglieder Lyrik Kabinett/IBZ: freier Eintritt