Der Flügelflagel gaustert /
durchs Wiruwaruwolz, /
die rote Fingur plaustert, /
und grausig gutzt der Golz.
Inger Christensen, geboren 1935 in Vejle (Jütland), ließ sich zunächst zur Volksschullehrerin ausbilden und studierte dann Medizin, nebenbei Chemie und Mathematik und arbeitete einige Jahre an der Kunsthochschule. 1962 debütierte sie mit der Lyriksammlung Lys (Licht), im Jahr darauf folgte Græs (Gras). In ihren frühen Gedichten ist vor allem die musikalische Qualität der Sprache prägend, wie auch die Vorliebe für Anleihen aus Natur und Biologie. Immer wieder wählt sie in Dichtung und Essayistik Sprachbilder aus dem Tier- und Pflanzenreich.
Wie ein roter Faden zieht sich daneben die Reflexion über das Verhältnis von Sprache und Welt durch ihr gesamtes Werk, nicht nur durch die Gedichte, sondern auch ihre Romane (Evighedsmaskinen, 1964; Azorno, 1967) und etwa die Essaybände Die Seide, der Raum, die Sprache, das Herz und Der Geheimniszustand im gleichnamigen Band. Ihr postmodernistischer Lyrikzyklus Det (Es) wurde von der Kritik mit Begeisterung aufgenommen und gilt bis heute unangefochten als eines ihrer Meisterwerke.
In der Sammlung alfabet (alphabet), 1981, hat Christensen das Alphabet mit der Zahlenreihe des Mathematikers Fibonacci kombiniert. Jede Ziffer ensteht darin aus der Summe der vorhergehenden: 1, 2, 3, 5, 8, 13 und so fort. Auf diese Weise wächst die Anzahl der Ziffern gleich einer Lawine. Im 1991 erschienenen Sommerfugledalen - et requiem. (Das Schmetterlingstal - ein Requiem.) ist die Form keine mathematische, sondern eine klassische Lyrikform: das Sonett und sogar der Sonettkranz.
Auf Deutsch sind von ihr in den Übersetzungen von Hanns Grössel folgende Werke erschienen: Azorno, 1992, alfabet / alphabet, 2000; Das gemalte Zimmer, 1989; Brief im April, 1990; Teil des Labyrinths, 1993; Das Schmetterlingstal - Ein Requiem, 1995, mit CD; Ein chemisches Gedicht zu Ehren der Erde. Hrsg. von Peter Waterhouse, 1997; Der Geheimniszustand und Gedicht vom Tod, 2000, DET / DAS., voraussichtlich 2001.
Inger Christensen, (C )Ode an (für) die Seele
1. Über Ewald
Daß er am 18. November 1743 geboren wurde.
Daß er auf den Namen Johannes getauft wurde.
Daß sein Vater Enevold Ewald hieß und er ein
berühmter pietistischer Prediger war. [...]
4.Über das Träumen von Kräften
Daß Ewald jetzt die Bedingungen kennt.
Daß er sich, wenn die Sonne verschwunden ist, die ver-
schwundenen Strahlen denken muß.
Daß er unter diesen gedachten Strahlen den Pfuhl als einen
Spiegel seines eigenen Elends sehen muß, wohlgemerkt
ohne zu fliehen.
[...]
In dem Sachverhalt, daß die Sprache ein Teil, eine
Verlängerung der schaffenden Kräfte der Natur ist und ein
Bruch, ein Gebrauchsgerät für einen individuellen Verlust von
Kräften durch die ca. 70 Jahre hindurch, die wir leben, liegt
die Spannung, die Abgrund und Brücke gleichzeitig
hervortreten und wachsen läßt, als ebenso vereinbare
wie unvereinbare Größen.
(Aus: Inger Christensen, Teil des Labyrinths, Münster 1993, übers.
von Hanns Grössel)
Inger Christensen
liest Lyrik und Prosa.
Einführung: Klaus Podak
Dichtung & Wahrheit
Burgstraße 2
Im Rahmen der 12. Internationalen Frühjahrsbuchwoche 2001
Science & Fiction
Mitveranstalter: Lyrik Kabinett München
Vormerkung, Tel: 2 36 91 - 390 und 34 62 99