Der Flügelflagel gaustert /
durchs Wiruwaruwolz, /
die rote Fingur plaustert, /
und grausig gutzt der Golz.
Marie Luise Kaschnitz - Wie viele Veränderungen in einem Menschenalter – dieses Resüme aus einem späten Gedicht (Notwendigkeiten) könnte als Motto über ihre dichterische Entwicklung gestellt werden. Die Autorin, die neben dem umfangreichen lyrischen Werk Romane, Erzählungen, Hörspiele und autobiographische Aufzeichnungen verfaßte, hat die Turbulenzen des Jahrhunderts und die biographischen Einschnitte immer wieder zum Anlaß genommen, um ihre Schreibweise und poetische Zielsetzung zu revidieren und umzuformen. Während ihre frühe Schaffensperiode vor 1945 noch durch eine starke Traditionsgebundenheit gekennzeichnet war, entwickelte sie später moderne Ausdrucksformen, die einer spannungsvollen, schmerzlichen Wirklichkeitskonfrontation Rechnung trugen. – Aufgewachsen in Potsdam u. Berlin sowie in Bollschweil im Breisgau (dem Familiensitz des Vaters, wohin sie immer wieder zurückkehrte und wo sie auch begraben ist) heiratete sie nach einer Buchhandelslehre in Weimar 1925 den Archäologen Guido Freiherr Kaschnitz von Weinberg; 1928 Geburt der Tochter Iris Constanza, die ihrerseits später den Komponisten Dieter Schnebel heiratet. Sie lebte vorwiegend in Frankfurt und Rom, war befreundet mit Th.W.Adorno und Ingeborg Bachmann sowie mit Peter Huchel und Paul Celan, die sie seinerzeit unterstützte und verteidigte. Dolf Sternberger, der zu ihren engsten Freunden zählte, hat sie im „Insel Almanach“ zu ihrem 70. Geburtstag mit dem Aufsatz „Mythendunkel und Erfahrungshelle“ gewürdigt. – 1955 Georg-Büchner-Preis; 1984 stiftet die Evangelische Akademie Tutzing den Marie Luise Kaschnitz-Preis, die erste Preisträgerin ist Ilse Aichinger.
Dieter Schnebel, geb. 1930 in Lahr/Baden, studierte Musik, Musikwissenschaft, Theologie und Philosophie in Freiburg und Tübingen und promovierte über die Dynamik in den Werken Arnold Schönbergs. Danach wirkte er als Pfarrer, Religions- und Musiklehrer (u. a. in München). Von 1975-95 lehrte er als Professor für Experimentelle Musik u. Musikwissenschaft an der Hochschule der Künste, Berlin. An den Anfängen seiner kompositorischen Tätigkeit stehen v. a. Werke serieller Musik; seit Anfang der 60er Jahre setzt er sich mit Möglichkeiten kompositorischer Verwendung von Sprache auseinander und lauscht kreativ den Prozessen der Spracherzeugung nach.
BRÄUTIGAM FROSCHKÖNIG
Wie häßlich ist
Dein Bräutigam
Froschkönig
Jungfrau Leben.
Eine Rüsselmaske sein Antlitz
Eine Patronentasche sein Gürtel
Ein Flammenwerfer seine Hand.
Dein Bräutigam Froschkönig
Fährt mit dir
Ein Rad fliegt hierhin eins dorthin
Über die Häuser der Toten.
Zwischen zwei
Weltuntergängen
Preßt er sich
In deinen Schoß.
Im Dunkeln nur
Ertastest du
Sein feuchtes Haar.
Im Morgengrauen
Nur im
Morgengrauen
Erblickst du seine
Traurigen
Schönen Augen.
Marie Luise Kaschnitz - Aus: Neue Gedichte 1957
Aufbruch
Singe das Lied vom Menschenleben,
Es gibt keinen andern Gesang.
Keinen der weiter im Irdischen greift,
Keinen, der kühner gen Himmel schweift
Als das alte, vergängliche Wort
Von des Menschen Hier und Dort,
Von seinem Kommen und Gehen
Unter des Windes Wehen,
Unter der Sonne Licht.
Höre, wie sanft es spricht
Hör, wie es schreit so wild
Auf zu dem fernen
Riesigen Ebenbild
Über den Sternen.
Aus: Gesang vom Menschenleben, Eremiten-Presse 1982.
„Gesang vom Menschenleben“
Ein Abend zu Ehren von
Marie Luise Kaschnitz
1901 (Karlsruhe) – 1974 (Rom)
I.
Es lesen und erzählen:
Dorothea Hölscher-Lohmeyer
Helga Roloff
II.
Dieter Schnebel:
Lieder nach Gedichten von Marie Luise Kaschnitz
Es musizieren:
Barbara Stein und Florian Hölscher
Orff-Zentrum, Kaulbachstr. 16
(U 3 / U 6 Universität)
Eine gemeinsame Veranstaltung von Orff-Zentrum
und Lyrik Kabinett e. V.
Eintritt: DM 25,- / DM 12,50
Mitglieder Lyrik Kabinett: frei