Der Flügelflagel gaustert /
durchs Wiruwaruwolz, /
die rote Fingur plaustert, /
und grausig gutzt der Golz.
Langsamer träumen! denke ich und sehe /
mich nach Deckung um
Aber vielleicht ist auch Gott, wie die Vernunft, /
nur für wenige.
Münchner Reden 10
Harald Hartung
Einen vierzehngliedrigen Salamander - so hat Friedhelm Kemp das Sonett genannt. Der Salamander, weiß die christliche Ikonographie, ist ein feuerfestes Tier (Symbol für Christus, auch Sinnbild der Seelen im Fegefeuer, Symbol für Reinheit und Gerechtigkeit). Dass dieses vierzengliedrige Wesen bereits gute 800 Jahre überstanden hat, läßt auf seine weitere Vitalität schließen.
Harald Hartung zeigt an einigen neueren Beispielen, dass das Sonett keine obsolete Form ist, sondern eine aktuelle Möglichkeit, die Wirklichkeit unserer Epoche epiphanisch aufleuchten zu lassen und intellektuell zu pointieren: Dazu interpretiert er ein reimloses Sonett des großen US-Amerikaners Robert Lowell, Sonette von jüngeren deutschen Autoren wie Christian Lehnert, Jan Wagner und Dirk von Petersdorff sowie eigene Sonette aus verschiedenen Phasen seiner Arbeit.
Harald Hartung, geb. 1932 im westfälischen Herne, lebt als Lyriker, Kritiker und Essayist in Berlin. Er hat viel beachtete Anthologien herausgebracht ("Luftfracht", 1991; "Jahrhundertgedächtnis", 1998). Seine Lyrik versammelt der Band "Aktennotiz meines Engels. Gedichte 1957-2004" (2005). 2010 erschien bei Wallstein sein neuer Gedichtband "Wintermalerei". Er ist Mitglied der Akademien in Berlin, Mainz und Darmstadt.
Auszeichnungen (Auswahl): 1987 Anette-von-Droste-Hülshoff-Preis, 2002 Preis der Frankfurter Anthologie, 2004 Würth-Preis für Europäische Literatur und 2009 Johann-Heinrich-Merck-Preis.
Münchner Reden zur Poesie
Die Reihe widmet sich poetologischen Fragen und dokumentiert zugleich die Bedeutung, die der Dichtung in verschiedenen Bereichen der Gegenwartskultur zukommt. Die Reden werden ein- bis zweimal jährlich gehalten. Sie wurden begründet von Ursula Haeusgen und Frieder von Ammon und werden herausgegeben von Holger Pils und Frieder von Ammon.