Der Flügelflagel gaustert /
durchs Wiruwaruwolz, /
die rote Fingur plaustert, /
und grausig gutzt der Golz.
Langsamer träumen! denke ich und sehe /
mich nach Deckung um
Ich schrieb ein Gedicht und musste gerade niesen, als /
Vater an der Tür klingelte. Ich erschrak /
dermaßen, dass die Mine brach, und statt zu niesen /
hustete ich. Der Unterschied zwischen Gut und Böse /
ist offensichtlich.
Marica Bodrožić - "Die Wahrheit kann niemand verbrennen"
Marica Bodrožić
Über dieses Buch
Dichtung ist Vision, ein Sprung ins Unbekannte. Die Lufteroberung eines bilderreichen Denkens und die Entdeckung des Unsichtbaren als Kontinent hat die sprachmächtige Begine Mechthild von Magdeburg (ca. 1207-82) als 'Fließendes Licht' erlebt und in vielschichtigen Gesängen, Bildern und liedhaft-hybriden Abhandlungen niedergeschrieben. Ihre so aufblitzende geistige terra incognita ist bis heute maßstabsetzendes Beispiel für das ewig Unbeweisbare geblieben.
Durch die dichterisch festgehaltene Erfahrung dieses mystischen Paradoxons gebührt Mechthild der Platz einer der ersten in deutsche Sprache schreibenden Frauen: eine Philosophin der verdichteten Zeit, in der Gott zeitgleich das alles umfassende Absolute und das winzig Kleine ist. Wenn ich ihrem magnetisierenden Spracheifer folge, höre ich - etwa beim schönen Wort "Begine" - immer auch den Imperativ "Beginne!". Beginne also mit der Vision, mit der ersten Sprache der Poesie: mit einem Sprung ins Unbekannte - ins Nichtwissen. (Marica Bodrožić)
Autor
Marica Bodrožić wurde 1973 in Dalmatien geboren. 1983 siedelte sie nach Hessen über. Sie schreibt Gedichte, Romane, Erzählungen und Essays, die sich immer in einem Resonanzraum zwischen Ethik und Ästhetik bewegen. Für ihre Bücher erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, zuletzt den Literaturpreis der Konrad Adenauer-Stiftung und den Ricarda Huch-Preis für Gender in der literarischen Welt. Marica Bodrožić lebt als freie Schriftstellerin in Berlin. Sie ist Mitglied des Deutschen PEN-Zentrums.
Herausgeber
Ursula Haeusgen, geboren 1942, gründete 1989 das Lyrik Kabinett in München sowie später die gemeinnützige Stiftung Lyrik Kabinett, deren Vorstandsvorsitzende sie ist. Sie ist eine der Herausgeberinnen der Edition Lyrik Kabinett bei Hanser und wurde für ihr Engagement für die Poesie vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Maecenas Preis.
Holger Pils, geboren 1976, studierte Germanistik, Geschichte und Spanisch in Heidelberg und wurde mit einer Arbeit über Thomas Mann promoviert. Er leitete das Buddenbrookhaus in Lübeck und ist Seit Anfang 2014 Geschäftsführer der Stiftung Lyrik Kabinett in München. Er schreibt über Literatur des 20. Jahrhunderts, die Familie Mann und über Gegenwartslyrik.
Zwiesprachen
Die deutschsprachige Gegenwartslyrik empfängt wichtige Impulse aus einer lebendigen Auseinandersetzung mit den Dichtern der internationalen Tradition. In dieser Reihe schreiben Dichter über Dichter, die für ihr eigenes Schaffen bedeutsam sind.Die „Zwiesprachen“ werden herausgegeben von Holger Pils und Ursula Haeusgen und erscheinen im Verlag „Das Wunderhorn“.