Der Flügelflagel gaustert /
durchs Wiruwaruwolz, /
die rote Fingur plaustert, /
und grausig gutzt der Golz.
Langsamer träumen! denke ich und sehe /
mich nach Deckung um
TITAN Heft 9/2007
Pia-Elisabeth Leuschner
Rudolf Borchardts erste Buchveröffentlichung von 1905 besteht aus einem dichtungstheoretischen, von markanten angelsächsischen Einflüssen zeugenden >Gespräch über Formen<, das in einer historisch klar konturierten Gegenwart um 1900 geführt wird, und der Übersetzung des Platonischen Dialogs >Lysis<. Beide Werkflügel ergänzen sich wechselseitig zu einem ambitionierten kulturpolitischen Projekt: die Jugend es Wilhelminischen Deutschland zukunftswirksam zur Denkweise dessen zu erziehen,, der sich zeitlebens zum Praeceptor Germaniae aufwirft und stilisiert. Der Autor polemisiert dabei nicht nur gegen den Kulturverfall des 19. Jahrhunderts und insbesondere gegen die akademisch bestallte Philologie oder bestehende Übersetzungen und gültige Übersetzungstheorien. Er hadert konkret auch mit Rudolf Kassners (1873-1959) >Lysis<-Übersetzung desselben Jahres und gründet prospektiv einen grandios hochfahrenden Anspruch deutscher Kultur-Remedur vor allem auf die Antike-Rezeption Walter Paters. Der Text ist aber auch ein Werk über die Liebe – Liebe in einem sehr spezifischen Verständnis: als zwischen eros und philia zitternde Kompassnadel zur Bestimmung eines kulturpolitischen Reformkurses. Das gesamte kultur- wie übersetzungstheoretische Denken Borchardts ist hier bereits im Keim erkennbar.
Begonnen im Herbst 1900 und weitergeführt während der Phase deiner unglücklichen Verliebtheit des Autors in »Vivian« bis zum Abschluss Ende 1902, hat das Manuskript zugleich eine komplizierte Verlags- und Wirkungsgeschichte ausgelöst – von der phasenreichen Niederschrift, wie sie die für diese Publikation erstmals zugänglichen Autographen spiegeln, bis hin zu Borchardts Bemühung, dem umstrittenen Neudruck von 1918 eine retrospektive Rechtfertigung beizugeben.
Pia-Elisabeth Leuschner studierte Italienische und Englische Philologie sowie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an den Universitäten München, Köln, Canterbury und Venedig. Von 1989 bis 2001 war sie an den Universitäten München und Köln beschäftigt und wurde 1999 mit einer komparatistischen Arbeit zur >Musik in der englischen und deutschen Romantik< promoviert. 2001-2004 leitete sie die Münchner >Lectura Dantis<. Sie arbeitete für die Stiftung Lyrik Kabinett München sowie als Moderatorin und wissenschaftliche Publizistin.
Gerhard Schuster (geb. 1956), Honorarprofessor an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, leitet das Rudolf Borchardt Archiv. Herausgeber zahlreicher Editionen und Dokumentationen zur Literatur und Kunst der Goethezeit und der Moderne, darunter zu Hugo von Hofmannsthal, Harry Graf Kessler, Rudolf Pannwitz, Gottfried Benn.
Verschiedenes
Außerhalb der Reihen sind im Lyrik Kabinett verschiedene einzelne Publikationen erschienen. Zu beziehen über das Lyrik Kabinett sind außerdem die „Mitteilungen des Rudolf Borchardt-Archivs“ (Titan, Heft 1-12).