Der Flügelflagel gaustert /
durchs Wiruwaruwolz, /
die rote Fingur plaustert, /
und grausig gutzt der Golz.
Langsamer träumen! denke ich und sehe /
mich nach Deckung um
TITAN Heft 11/2007
David Oels
Daß sein Lebensweg von »Leichen« gesäumt sei, hat der Göttinger Klassische Philologe Friedrich Leo seinem Lieblingsschüler 1902 attestiert - und damit nicht nur die erotischen Verstrickungen des jungen Rudolf Borchardt bezeichnet, sondern auch auf jene Freundschaften hingewiesen, bei denen Borchardt zunächst der Gebende, aber schon bald ein Abwehrender gewesen ist. Auch der Literaturhistoriker Walther Brecht (1876-1950) gehört zu Jenen, die er während seiner Gattinger Semester umwirbt. Borchardt porträtiert ihn sprechend im »Harry« des >Gesprächs über Formen< und plant sogar, Brecht mit der gedruckten Widmung seiner >Rede über Hofmannsthal< als »Denkmal der schönsten Gemeinschaft« öffentlich zu ehren. Aber schon bald lockert sich die Verbindung, der Mentor geht über den Schützling hinweg, weil er sowohl dessen von Opportunismen nicht freie Universitätskarriere ablehnt wie auch seiner intellektuellen Leistungsfähigkeit wenig Verständnis entgegenbringt.
Brechts akademische Laufbahn führt ihn seit seiner Berufung an die Wiener Universität 1914 in den persönlichen Umkreis Hugo von Hofmannsthals, der sich von diesem Kathederphilologen eine wissenschaftlich gesicherte Deutung des eigenen Werkes erhofft und ihm deshalb (als erstem und einzigem Zeitgenossen überhaupt!) systematisch die Welt seiner Entwürfe eröffnet. Unvermittelt sieht Borchardt sich in den Zwanziger Jahren dem belächelten Hausgenossen von einst als künftigem Nachlaßverwalter gegenüber, der noch dazu 1927 das Wettrennen um die Besetzung des Münchener Lehrstuhls für Deutsche Philologie gewinnt - als ein von Hofmannsthal lancierter Kompromißkandidat, und anstelle des von Rudolt Borchardt selbst so energisch forcierten Josef Nadler. Nach Hofmannsthals Tod 1929 proklamiert Borchardt, der dessen Gesamtwerk wie keiner seiner Zeitgenossen in lebenslanger Interpretation durchdrungen hat, zwar die Forderung nach einer Historisch-kritischen Werkausgabe und einer Hofmannsthal-Gesellschaft samt »Studiencentrale« in Rodaun, muß aber schon bald bemerkenm, daß der »kümmerliche Hase« Walther Brecht die Erschließung der hinterlassenen Papiere eher verzogen, und jedenfalls ihre Benutzung für andere Interessenten - etwa wiederum Nadler - geradezu sperrt. Durch seine Heirat 1913 mit Erika Leo, der Tochter von Friedrich und Cecile Leo, »jüdisch versippt«, verfällt Brecht 1937 der Zwangsemeritierung und stirbt, nach langen Jahren der Unproduktivität und schwerer Krankheit, 1950 in München.
Auf der Grundlage bisher unveröffentlichter Materialien wird diese spannungsreiche Geschichte der Befreundung und Verfeindung zwischen Borchardt und Brecht im Zeichen ihrer gemeinsamen Hofmannsthal-Rezeption hier erstmals minutiös rekonstruiert und zugleich aus wissenschaftshistorischer Perspektive ein Lebensbild des Literarurwissenschaftlers entworfen. Das Heft enthält neben einer vollständigen Bibliographie der Veröffentlichungen von Walther Brecht und unbekannten Photos auch sämtliche erhaltenen Dokumente aus der gemeinsamen Korrespondenz mit Rudolf Borchardt zwischen 1902 und 1938.
Der Autor: David Oels (geb. 1972) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für deutsche Literatur der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2002 diverse Publikationen im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt »Das populäre deutschsprachige Sachbuch im 20. Jahrhundert« in Berlin und Hildesheim (www.sachbuchforschung.de). Mitherausgeber der Zeitschrift >Non Fiktion. Arsenal der anderen Gattungen<. 2005 erschien von ihm der (zusammen mit Christoph König) herausgegebene Briefwechsel zwischen Hugo von Hofmannsthal und Walther Brecht (Göttingen: Wallstein; Marbacher Wissenschaftsgeschichte. Band 6).
Verschiedenes
Außerhalb der Reihen sind im Lyrik Kabinett verschiedene einzelne Publikationen erschienen. Zu beziehen über das Lyrik Kabinett sind außerdem die „Mitteilungen des Rudolf Borchardt-Archivs“ (Titan, Heft 1-12).