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Langsamer träumen! denke ich und sehe /
mich nach Deckung um

(Harald Hartung)

TITAN Heft 8/2006

Gerhard Schuster

Das Land hat keine Kinder und kein Licht

Ein »Unglücksgriff« sei seine erste Ehe gewesen, bekennt Rudolf Borchardt gegenüber Werner Jaeger noch am 28. September 1932 (Briefe 1931-1935 S. 170), und alle Spuren dieser fünfzehnjährigen Verbindung habe er »mit Stumpf und Stil« getilgt. Zwischen 1904 und 1919 sind jedoch auch Borchardts wichtigste Arbeiten entstanden oder konzipiert worden, und die aus Heidelberg stammende Malerin hat einen guten Teil dieses Lebenswerks durch ihre Zuneigung, ihre Geduld und ihre finanziellen Ressourcen überhaupt erst ermöglicht. Als die kinderlos gebliebene Ehe nach dem Ersten Weltkrieg in München geschieden wird, kehrt Borchardt wieder nach Italien zurück, nun mit Rudolf Alexander Schröders Nichte Marie Luise Voigt verheiratet, und bald Vater von drei Söhnen und einer Tochter. Karoline Borchardt arbeitet in München als Lektorin und Korrektorin für die Bremer Presse; ihre künstlerische Produktivität ist längst versiegt und sie bleibt in der Tat, wie Borchardt gegenüber Hofmannsthal bekennt, als eine »jammerwürdige« und »mir ewig vorwurfsvolle« Gestalt zurück (Briefwechsel S. 262). Nach 1933 wird Karoline Borchardt vom Räderwerk der Judenverfolgung erfaßt. Man interniert sie treu des tapferen Eintretens von Rudolf Alexander Schröder in der >Judensiedlung Milbertshofen<, im Juli 1942 wird sie nach Theresienstadt deportiert und stirbt dort unter ungeklärten Umständen Anfang Januar 1944.

Nach jahrelangen Recherchen, nach Gesprächen mit noch lebenden Zeitzeugen wird in dieser (deshalb umfangreicher als sonst geratenen) Ausgabe des >Titans< nicht nur der Lebensweg der Künstlerin mit ihren Beziehungen bis in den Umkreis von Wassily Kandinsky und dem >Blauen Reiter< rekonstruiert; erstmals kann auch das bisher verschollen geglaubte malerische und graphische Oeuvre in Auswahl dokumentiert werden. Die teilweise erschütternden Briefzeugnisse, mitten in der Banalität des Bösen, zeigen einen Menschen, der die Verfinsterungen der eigenen Zeit seismographisch wahrnimmt, auch und gerade, wenn er bekennt: »Ich bin kein Intellektueller sondern ein lebendiger Mensch; mein Zentrum ist nicht das Hirn sondern das Herz und die Seele, und wenn nur an das erste, an meinen gewiss nicht stärksten Teil Ansprüche gestellt werden, dann muss das andre hungern und verkümmern.« (Karoline Borchardt an Irmgard Grimm, 26. Dezember 1924)

Die Autoren: Gerhard Schuster (geb. 1956), Honorarprofessor an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, leitet das Rudolf Borchardt Archiv in Rotthalmünster. Herausgeber zahlreicher Editionen und Dokumentationen zur Literatur und Kunst der Goethezeit und der Moderne, darunter zu Hugo von Hofmannsthal, Harry Graf Kessler, Gottfried Benn und Rudolf Borchardt. - Caroline Saltzwedel, in England geboren, promovierte in Oxford über Paul Celan, übersetzte mehrere kunsthistorische Bücher in Englische und studierte Druckgraphik an der >Ruskin School of Fine Art< in Oxford bei Jean Lodge. Seit 1995 als Graphikerin und Malerin in Hamburg ansässig, gründete sie dort die >Hirundo Press( für Künstlerbücher; ihre Arbeiten befinden sich in zahlreichen öffentlichen und privaten Sammlungen (www.hirundo-press.com).


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Außerhalb der Reihen sind im Lyrik Kabinett verschiedene einzelne Publikationen erschienen. Zu beziehen über das Lyrik Kabinett sind außerdem die „Mitteilungen des Rudolf Borchardt-Archivs“ (Titan, Heft 1-12).

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Gerhard Schuster

Das Land hat keine Kinder und kein Licht

Die Malerin Karoline Borchardt geb. Ehrmann (1873-1944)

Lyrik Kabinett München,
September 2006

ISBN 978-3-938776-07-0, 20,00 € In den Warenkorb